Entspannung im Lehrerberuf – mehr Ausgeglichenheit als Lehrkraft

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Erkennen Sie sich als Lehrerin oder Lehrer in folgender Beschreibung wieder? Es ist nachts um drei und Sie wälzen sich mittlerweile seit zwei geschlagenen Stunden hin und her, können aber partout nicht einschlafen. Sie haben es heute erst um eins ins Bett geschafft, weil Sie die letzten verbliebenen Schulaufgaben unbedingt noch fertig korrigieren wollten. Das war Ihnen wichtig, weil Sie übermorgen schon wieder von zwei Klassen stapelweise Übungsaufsätze im Fach Deutsch bekommen und danach ja auch gleich zwei Vokabeltests in Ihren beiden Englischklassen anstehen. Ganz abgesehen von der großen Projektwoche an Ihrer Schule in zwei Wochen, zu der Sie dieses Mal auch mit einer Klasse etwas beisteuern sollen (und, das haben Sie der Schulleitung gegenüber betont, wollen) – wäre da nicht noch der Elternsprechabend mitten in der nächsten Woche, auf den Sie sich nicht gerade freuen; die streitlustige Mutter eines nicht minder konfliktaffinen Sechstklässlers hat sich schon angekündigt.

Halten Sie die geschilderte Situation für zugespitzt und künstlich dramatisiert? In unseren Lehrer|Schüler-Beratungsgesprächen mit gestressten Lehrerinnen und Lehrern bekommen wir solche Schilderungen des Arbeitsalltags einer durchschnittlichen Lehrkraft laufend zu hören. Da steht dann doch die Frage im Raum, ob dieser Stress nicht etwa hausgemacht ist. In jedem Fall muss man sich als Pädagogin oder Pädagoge im Schuldienst unbedingt mit der Frage befassen, wie man im Sinne des Erhalts der eigenen Lehrergesundheit in den beruflichen Alltag als Lehrerin oder Lehrer wenigstens kurze Phasen der Ruhe und Entspannung einbauen kann. Mehr Ausgeglichenheit als aktive Lehrkraft ist ein Ziel, das sich viele Lehrerinnen und Lehrer regelmäßig setzen, das sie aber nur in den seltensten Fällen dauerhaft erreichen. Wir sind den Gründen hierfür und möglichen Gegenmaßnahmen für Sie auf den Grund gegangen.

>>> Weniger Perfektion im Lehrerberuf – sich als Lehrerin oder Lehrer durch aktives Grenzensetzen bewusst für die eigene Lehrergesundheit einsetzen

Lehrer|Schüler - Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de

Dass so manche Lehrkraft als perfektionistisch bezeichnet werden muss, liegt nach Ansicht von Lehrer|Schüler auch daran, dass dieser Charakterzug vieler Pädagoginnen und Pädagogen schon im Referendariat für ein Lehramt von Seiten der Ausbilderinnen und Ausbilder zum Wohle des späteren Dienstherrn bei den angehenden Lehrerinnen und Lehrern bewusst kultiviert wird. Wenn Unterrichtsentwürfe abzugeben sind, die perfekter als perfekt sein müssen, wenn jede Minute des Unterrichts pingelig genau geplant und jede Minute im Klassenzimmer dokumentiert und reflektiert werden muss, ist es nur logisch, dass derart getrimmte Lehrkräfte davon mit dem Eintritt in den „echten“ Lehrerjob im Anschluss nicht so ohne Weiteres einen gesunden Abstand nehmen können.

Sich gegen den Widerstand der Kolleginnen und Kollegen im Lehrerzimmer hinzustellen und offensiv zu sagen „Ich mache das so und so und das muss dann reichen,“ fordert ein gewisses Maß an Selbstvertrauen. Die Mehrheit der anderen Lehrerinnen und Lehrer wird – eventuell aus einem eigenen Gefühl der Unsicherheit heraus – eine solche Haltung belächeln, mit Kopfschütteln quittieren oder versuchen „niederzudiskutieren“. Doch bedenken Sie, dass Sie als Lehrkraft selbst dafür verantwortlich sind, Ihren Arbeitstag so zu gestalten und einzuteilen, dass Sie nicht mehr Überstunden machen als man von Ihnen fairerweise verlangen kann – viele Lehrerinnen und Lehrer neigen dazu, ein enormes Maß an unbezahlter Mehrarbeit zu leisten, das letzten Endes nicht vergütet wird. Von Seiten der Schulleitung wird dies vielerorten noch eher honoriert anstatt dass diese im Sinne der Fürsorgepflicht als dienstvorgesetzte Instanz im Sinne der Lehrergesundheit dazu auffordern würde, die eigene Arbeitsbelastung als Lehrkraft im Auge zu behalten und ggf. selbst zu reduzieren.

>>> Mehr Ausgeglichenheit als Lehrerin oder Lehrer durch bewusstes Zeitmanagement und konsequente Arbeitszeitverwaltung

In unseren Überlegungen zu der Ausgestaltung des klassischen Arbeitstags von Lehrkräften sind wir von Lehrer|Schüler zu der Erkenntnis gelangt, dass man sich als Lehrerin oder Lehrer schon sehr strecken muss, um täglich im Durchschnitt nicht mehr als neun Stunden zu arbeiten. Trotzdem ermutigen wir Sie zu folgender Kalkulation: Wenn Sie dafür bezahlt werden, dass Sie genau dieses Maß an Arbeitsleistung erbringen, muss die zwingende Logik des Dienstherrn sein, dass Sie die Ihnen zumutbaren Aufgaben durchschnittlich auch in dieser Zeit erledigen können. Das bedeutet: Was Sie nicht unterbringen, wird vertagt, weggelassen oder mit geringem Aufwand bearbeitet.

Lehrer|Schüler - Beratung für Lehrerinnen und Lehrer | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Lehrerinnen und Lehrer | lehrerschueler.de

Rechnen wir es konkret durch: Gehen wir davon aus, dass Sie einen einfachen Arbeitsweg von 30 Minuten zur Schule haben, stehen Ihnen ziemlich genau acht Zeitstunden pro Arbeitstag für die Schule zur Verfügung. An einem 6-Stunden-Unterrichtstag zu je 45 Minuten haben Sie dementsprechend vor oder nach dem eigentlichen Unterricht insgesamt noch 210 Minuten für weitere Aufgaben zur Verfügung. Nehmen wir an, Sie sind eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn da, um noch zu kopieren, dürfen Sie nach dem Unterricht nur noch maximal drei Stunden Arbeit in die Schule investieren, wenn Sie sich nicht überlasten wollen.

Daraus folgt zwingend: In Phasen, in denen Sie viel korrigieren müssen, findet keine zusätzliche Unterrichtsvorbereitung mehr statt. Sie „ernähren“ sich in solchen Phasen von Arbeitsblättern vergangener Jahre, frei verfügbaren Materialien im Internet oder vorgefertigten Übungsaufgaben aus dem Fachschaftsschrank im Lehrerzimmer. Was fällt dementsprechend weg? Unnötige Verzierungsarbeiten an bereits existierenden Materialien, umfangreiche fachliche Recherchen zu Detailfragen oder Zusatzübungen, die nicht allen Kindern oder Jugendlichen einer Klasse gleichermaßen sinnvoll dienen. All das können Sie machen, wenn Sie gerade nicht zu sehr durch Korrekturen belastet sind oder wenn Sie – z.B. in einer Vertretungsstunde in einer fremden Klasse – die Zeit dafür haben.

>>> Konkrete Ansatzpunkte für weniger Perfektionismus im Lehrerberuf: Erwartungsmanagement und Materialausdünnung

Machen Sie sich die an Sie herangetragene explizite oder implizite Erwartungshaltung von Lehrerkolleginnen und -kollegen, der Schulleitung, den Eltern oder den Schülerinnen und Schülern nicht zueigen – sprechen Sie mit einer befreundeten Kollegin oder einem Ihnen nahestehenden Kollegen über den inneren Druck, den Sie als Lehrkraft diesbezüglich möglicherweise verspüren! Planen Sie Ihren Unterricht bewusst – aber so, dass Sie die notwendige Strukturierung auch an Ihren Lehrerbedürfnissen ausrichten, nicht in erster Linie an denen Anderer! Segmentieren Sie dann den „Stoff“ in bewältigbare Portionen, wie man das im Rahmen der didaktischen Reduzierung als professionelle Lehrkraft macht, und lagern Sie einen Gutteil davon auf die häusliche Lernumgebung der Schülerinnen und Schüler aus!

Ihre Devise sollte nach dem Dafürhalten von Lehrer|Schüler sein: Lehren Sie in der Schule das, was die Schülerinnen und Schüler sich alleine nicht aneignen können! Nehmen Sie das durch, wozu man als Kind oder Jugendlicher unbedingt eine Lehrkraft braucht! Wenn Sie dann ein faires Angebot für den Wissenszuwachs gemacht haben, geben Sie ein Stück Ihrer Verantwortung an die Schülerinnen und Schüler bzw. Elternhäuser ab! Stehen Sie gerne für Rückfragen zur Verfügung, aber setzen Sie hierfür klare Zeitfenster (Zwei Tage vor der Schulaufgabe wird nicht noch einmal Grundsätzliches wiederholt, sondern vertieft geübt!) und entsprechende Rahmenbedingungen (Die Schülerinnen und Schüler formulieren eindeutige Fragen mit Verweisen auf konkrete Übungen / Hefteinträge schriftlich und senden Ihnen diese vorab an Ihre dienstliche E-Mail)!

Was als Lehrerin oder Lehrer auch nicht schaden kann: Ziehen Sie immer wieder einmal den offiziellen Lehrplan Ihrer Fächer zu Rate! Denken Sie daran: Das Schulbuch ist nicht der Lehrplan – nur letzterer ist für Ihr pädagogisches Wirken maßgeblich! Wenn Sie diesen also aufmerksam lesen und mit den bisher verwendeten Materialien abgleichen, werden Sie schnell merken, dass Sie – wie jede Lehrkraft – im Laufe der Zeit viele Inhalte in einer Tiefe oder Breite behandeln, die so gar nicht gefordert wird. Außerdem können Sie sicher auf so manche Einzelübung verzichten, die Sie bisher grundsätzlich durchgenommen haben, die aber eigentlich nicht sehr relevant ist oder die im Schulbuch eher als „Füllübung“ vorkommt. Planen Sie den täglichen Unterricht mit professioneller Hilfe und sorgen Sie für mehr Ordnung und Struktur in Ihren Unterlagen und Materialien!

>>> Der Versuchung widerstehen: Gewisse Momente gehören der Familie und den Hobbys – nicht der Schule!

Eines wird in den Lehrer|Schüler-Beratungsgesprächen mit überforderten und ausgebrannten Lehrkräften immer wieder schnell klar: Im Lehrerberuf gibt es immer etwas zu tun, wenn man das möchte! Es ist eine trügerische Falle, in die jedes Schuljahr etliche Lehrerinnen und Lehrer tappen. Wenn ich Sie jetzt fragen würde, was Sie im Hinblick auf die Schule unbedingt noch tun müssten, fallen Ihnen sicher spontan Dutzende Dinge ein. Wenn Sie sich für die Schule verfügbar machen, wird diese Ihre Zeit auffressen! Daher gilt: Machen Sie sich rar und verhindern Sie selbst, dass die Schule zu viel Raum in Ihrem Terminkalender und in Ihren Gedanken einnimmt! Wie geht das?

Digital Detox“ ist ein Trend unserer Zeit – der Wunsch, der Dauerverfügbarkeit und Medienlastigkeit im Alltag zu entrinnen. Dieses Prinzip sollten Sie unbedingt auch im Lehrerberuf anwenden! Daher: Löschen Sie schulbezogene Apps von Ihrem privaten Smartphone, Tablet und Laptop! Somit müssen Sie sich selbst aktiv auf Umwegen anmelden, wenn Sie wirklich unbedingt etwas Schulbezogenes benötigen – das ist umständlich und wird Sie von unnötigem Mailschecken und Arbeiten für die Schule abhalten. Denken Sie wieder konsequent: Wenn Sie dazu verpflichtet sind, Ihren dienstlichen Account täglich zu checken, muss der Dienstherr auch eine einfach Zugangsmöglichkeit in der Schule (!) dazu bereitstellen. Wenn die PCs dort 20 Minuten brauchen, bis sie hochgefahren sind, dann verlagern Sie das Checken der Mails eben in die erste Unterrichtsstunde, während die Schülerinnen und Schüler einen Arbeitsauftrag abarbeiten! Somit werden Sie beiden Verpflichtungen gerecht – aber nicht auf Kosten Ihrer Privatzeit.

Abends und am Wochenende – in jedem Fall ganztags am Sonntag – hat die Schule bei Ihnen Hausverbot. Wenn Sie bis spätnachts arbeiten, zerstören Sie sich Ihren eigenen Schlafrhythmus, da Sie nach dem Arbeiten auch noch Zeit zur aktiven Entspannung (also nicht die Berieselung vor dem TV-Gerät) benötigen. Nachts um eins werden Sie wohl kaum noch Sport machen und joggen gehen. Mit einem gestörten Biorhythmus sind Sie dauerhaft weniger leistungsfähig – was wiederum zu Lasten Ihrer Lehrergesundheit geht. Es entsteht ein Teufelskreis aus Überarbeitung, dem Sie als Lehrerin oder Lehrer kaum noch entkommen werden.

Der Sonntag sollte Ihnen außerdem heilig sein – auch Freunde und Familie haben wenigstens einen vollen Tag pro Woche ein Anrecht auf Sie; vor allem auf den Anteil von Ihnen, der mit Ihrer Lehrerpersönlichkeit nichts zu tun hat. Ihre Partnerin oder Ihr Partner wird sich ja wohl kaum in Sie verliebt haben, weil Sie so eine tolle Lehrkraft sind – schön wär’s! – sondern weil Sie andere menschliche Qualitäten haben, die Sie nur ausleben können, wenn Sie von der Schule abschalten und sich anderen Menschen voll widmen können.

>>> Passende Beratungsangebote von Lehrer|Schüler


Kontaktieren Sie uns jederzeit gerne!


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3 Antworten

  1. […] Sorgen Sie unbedingt für Phasen der Entspannung als Lehrerin oder Lehrer! Und wenn das nur bedeutet, dass Sie sich eine leckere Pizza gönnen, am Abend Ihre Lieblingsserie […]

  2. […] diese Phänomene fordern von Lehramtsreferendarinnen und Lehramtsreferendaren ein extremes Maß an Resilienz – eine Fähigkeit, die diese im Lehrerberuf jedoch erst aufzubauen lernen […]

  3. […] eines Schulwechsels sein dürfte, dass betroffene Lehrkräfte wieder zu einer echten Form der inneren Entspannung und Ausgeglichenheit im Lehrerberuf finden, wenn sie die berufliche Umgebung als Lehrerin oder Lehrer komplett wechseln. Häufig […]

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