Erhalt der Lehrergesundheit im Schuldienst: Acht Stunden sind (k)ein Tag!

Geschätzte Lesedauer: 6 Minuten

Über folgendes Zitat bin ich bei der Recherche für diesen Artikel über ein gutes Zeitmanagement für Lehrkräfte zu Gunsten der eigenen Lehrergesundheit gestolpert:

„Mit der von der Mehrzahl der Bundesländer beabsichtigten Erhöhung der Pflichtstundenmaße würden die [Lehrerinnen und] Lehrer systematisch krankgemacht. […] Die aus arbeitsmedizinischer Sicht festgestellten Belastungen des Lehrerberufs sind alarmierend und [ihre Zahl ist] in den letzten zehn Jahren erheblich angestiegen. Prof. Mueller-Limmroth verweist auf die Unmöglichkeit, die berufsspezifischen Arbeitsinhalte und Arbeitsabläufe der [Lehrerinnen und] Lehrer zu verändern. Der Arbeitsplatz der [Lehrkräfte] könne nur über den Zeitfaktor ergonomisch sinnvoller gestaltet werden. Im Interesse der Leistungsfähigkeit des Schulsystems und aus der Fürsorgepflicht der Dienststellen heraus gebe es zur Reduzierung der Pflichtstundenmaße keine Alternative.“ (Quelle: Fachportal Pädagogik)

Das klingt aktuell? Ist es auch – stammt allerdings aus dem Jahr 1993. Die Untersuchungen von Prof. Mueller-Limmroth sind also stolze 27 Jahre alt (und dass es dazu vom gleichen Verfasser bereits Erhebungen aus dem Jahr 1980 gibt, sei nur am Rande erwähnt)! Dennoch haben sie nichts von ihrer Aktualität in Bezug auf die Arbeitsbedingungen im Lehrerberuf verloren, wie uns bei Lehrer|Schüler zahlreiche Anfragen nach Beratungen für Lehrerinnen und Lehrer zum Thema Work-Life-Balance oder Arbeitsökonomisierung im Lehrerjob immer wieder zeigen.

Plötzliche Veränderungen der eigenen Arbeitsbedingungen sind selten erfreulich. Beamtinnen und Beamte sind davon naturgemäß schneller betroffen als Angestellte, weil sie aufgrund ihres besonderen Dienst- und Treueverhältnisses rechtlich kaum vor einseitig erlassenen Anordnungen geschützt sind. Insbesondere Deputatserhöhungen sind hierbei ein beliebtes Mittel der Kultusministerien, um einem tatsächlichen oder drohenden Lehrermangel schnell und vor allem kostengünstig abzuhelfen. Es stellt sich also die Frage, wie man sich als Lehrerin oder Lehrer selbst sinnvoll um den Erhalt der eigenen Gesundheit und Arbeitskraft kümmern kann.

>>> Was kann ich als Lehrerin oder Lehrer gegen Überlastung im Schulalltag tun?

Was kann ich nun als Lehrkraft unternehmen, um durch eine solche Maßnahme, wie sie vor einiger Zeit beispielsweise in Bayern angekündigt wurde, nicht in die berufliche Überlastung im Lehrerberuf zu rutschen? Nun, auf den ersten Blick vielleicht nicht viel. Dennoch lohnt sich auch hier der zweite Blick. „Acht Stunden sind kein Tag“, so hieß in den 70er-Jahren eine Fernsehserie des legendären Regisseurs Rainer Werner Fassbinder. Ihm ging es darum, zu zeigen, dass Arbeit nicht alles im Leben ist. Auch für Lehrerinnen und Lehrer ist das ein passendes Motto – hier besser abgewandelt zu „Acht Stunden sind ein (Arbeits-)Tag!“ Wir bei Lehrer|Schüler sind in unseren Beratungsgesprächen mit Lehrkräften im Schuldienst immer wieder mit dem Problem einer ungünstigen Work-Balance zu Lasten der Lehrergesundheit konfrontiert.

Lehrer|Schüler - Beratung für Lehrerinnen und Lehrer | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Lehrerinnen und Lehrer | lehrerschueler.de

Hand aufs Herz: Wie lange ist Ihr Arbeitstag als Lehrerin oder Lehrer im Durchschnitt? Können Sie die acht Stunden (okay, es sind tatsächlich 8 Stunden und 54 Minuten, siehe unten) einhalten? Und haben Sie dann ein komplett freies Wochenende? Wenn Sie jetzt laut lachen (oder weinen) möchten, dann sollten Sie sich folgende Rechnung vor Augen führen: Ihre wöchentliche Arbeitszeit beträgt 40 Stundeneinzelne Bundesländer weichen hiervon minimal ab. Das sind im Jahr (bei 250 Arbeitstagen oder 50 Wochen) 2000 Stunden, abzüglich 30 Tage oder sechs Wochen Erholungsurlaub und im Schnitt neun Feiertage außerhalb der Wochenenden, also 1690 Stunden.

Verteilt man diese auf die 190 Schultage (=38 Wochen), ergibt sich eine Soll-Arbeitszeit der Lehrkräfte von ca. 44,5 Stunden pro Woche, also 8,9 Stunden täglich. Bei dieser Rechnung sind aber die Wochenenden (Samstag und Sonntag) und die Ferien komplett frei! Jede Stunde, die Sie als Lehrerin oder Lehrer am Samstag, am Sonntag oder in den Ferien am Schreibtisch verbringen, geht von den 8,9 täglichen Stunden ab. Rechnen Sie einmal (ehrlich) nach, ob Sie die genannten Zeiten auch nur halbwegs erfüllen können – nach unserer Erfahrung aus den Beratungen zum Thema Work-Life-Balance für Lehrerinnen und Lehrer ist das meist illusorisch.

>>> Reizthema Deputatserhöhung im Lehrdienst

Was aber hat das alles nun mit Deputatserhöhungen im Lehrerberuf zu tun? Dazu muss man sich drei Fakten zum Beruf der Lehrkraft in Erinnerung rufen:

  1. Die mit Unterricht verbrachte Zeit macht höchstens gut die Hälfte der Pflichtarbeitszeit aus. Rechnen Sie selbst: Sogar bei einem Unterrichtsdeputat von 28 Stunden (das ist bundesweit die Höchstgrenze) beträgt der Anteil des Unterrichts nur 52%; bei 23 Stunden nur 43%.

  2. Die wöchentliche Arbeitszeit ist für Beamtinnen und Beamte gesetzlich, für Angestellte durch Tarifvertrag festgelegt und ändert sich durch eine Deputatserhöhung oder -senkung nicht.

  3. In kaum einem anderen (nicht-selbstständigen) Beruf wird die Arbeitszeit weniger genau erfasst als bei Lehrkräften – das ist weder Nachlässigkeit noch Großzügigkeit des Dienstherrn, sondern beabsichtigt und Teil des Systems!

Daraus ergeben sich aus Sicht von Lehrer|Schüler mehrere logische Konsequenzen für Lehrerinnen und Lehrer:

  1. Egal, ob Sie nun 23, 26 oder 28 Unterrichtsstunden bestreiten müssen – die zur Verfügung stehende Zeit für deren Vorbereitung und für die restlichen Arbeiten bleibt insgesamt gleich; die Zeit für die einzelne Aufgabe muss also reduziert werden. Sie fragen sich, wie das funktionieren soll? – Diese Ansätze sind Erfolg versprechend:

  • Planen Sie die einzelnen Stunden weniger akribisch!

  • Erstellen Sie Klassenarbeiten (soweit in Ihren Fächern möglich) so, dass sie schnell und eindeutig zu korrigieren sind! Erstellen Sie den Erwartungshorizont vor der Korrektur! (Aber das tun Sie ja sowieso, oder?)

  • Verwenden Sie Klassenarbeiten (auch hier: soweit möglich) mit zwei bis drei Schuljahren Abstand erneut, vor allem für Nachschriften!

  • Sicher fallen Ihnen weitere Punkte ein. Das bedarf natürlich eines gewissen Pragmatismus. Die lehrertypische Detailverliebtheit ist auch hier fehl am Platz – dieses Relikt aus Referendarstagen sollten Sie ohnehin spätestens mit Antritt der ersten Stelle über Bord werfen!

  1. Jede Lehrkraft sollte sich bewusst sein, dass es immens wichtig ist, die eigene Arbeitszeit – auch und vor allem die am häuslichen Schreibtisch verbrachte – so genau wie möglich zu erfassen. Dabei müssen auch Konferenzen und Elterngespräche berücksichtigt werden. Mittlerweile gibt es zahlreiche Apps hierfür, aber auch der gute alte Zettel hat seine Berechtigung. Sicher findet sich auch im Lehrerkalender eine Rubrik, die sich dafür nutzen lässt.

  2. Ebenfalls sollte es jeder Lehrkraft klar sein, dass es notwendig ist, aus diesen Daten die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Warum als Lehrerin oder Lehrer nicht einmal eine sich endlos ziehende Konferenz am Donnerstagabend mit folgenden Worten verlassen: „Es tut mir leid, aber ich habe soeben eine Arbeitszeit von 41 Stunden erreicht. Für morgen muss ich noch fünf Stunden vorbereiten. Ich muss jetzt leider gehen, um nicht in die Überstunden zu kommen.“ – Natürlich sollten Sie dann die Notizen über Ihre Arbeitszeit auch vorweisen können. Denken Sie daran (und weisen Sie Ihren fassungslosen Schulleiter oder Ihre erstaunte Schulleiterin ruhig darauf hin), dass Mehrarbeit im öffentlichen Dienst stets von der oder dem Vorgesetzten angeordnet sein muss und ansonsten nicht zulässig ist.

  3. Damit zusammenhängend: Gibt es an Ihrer Schule eine Konferenzkultur? Falls nicht, arbeiten Sie daran! Was heißt das konkret? Nun, ganz einfach:

    • „Mäßig, aber regelmäßig“: Regelmäßige Konferenzen sollten zu festen Terminen durchgeführt werden, die für alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer entsprechend planbar sind. Spontane Ausfälle sollten ebenso wie Zusatztermine selten vorkommen.

    • Ganz wichtig: Eine Konferenzeinladung sollte nicht nur den Beginn, sondern auch das Ende der Besprechung enthalten. Über die Vorstellung vieler Schulleiterinnen und Schulleiter, man könne das Lehrerkollegium für 17 Uhr einbestellen und dann mit „open end” bis in die späten Abendstunden konferieren, würde ein Verantwortlicher in einem Unternehmen bestenfalls lachen.

Lassen Sie es nicht so weit kommen – bestehen Sie freundlich, aber bestimmt auf einem Zeitplan und einer detaillierten Tagesordnung (möglichst ohne „TOP x: Aktuelles und Diskussion“!) für jede Konferenz. Themen, die aus Zeitgründen nicht mehr behandelt werden können, kommen bei der nächsten turnusmäßigen Besprechung auf die Tagesordnung – falls sie dann noch aktuell sind. Vieles erledigt sich nämlich auch durch Zeitablauf.

>>> Enorme Mehrbelastung für Lehrerinnen und Lehrer durch Distanzunterricht und Homeschooling

Lehrer|Schüler - Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de

Momentan ist die Situation an den Schulen – bedingt durch die Corona-Pandemie – chaotisch. Unterschiedliche Ansätze zur Sicherstellung des Unterrichts bestehen nebeneinander, sei es Distanzunterricht mit digitalen Mitteln, Wechselunterricht mit Präsenz- und Homeschooling-Phasen oder der jetzt wieder anlaufende Präsenzunterricht unter Pandemiebedingungen in Abschlussklassen. Viele Lehrkräfte klagen mehr denn je über hohe Arbeitsbelastung durch unklare Vorgaben, unzureichende technische Ausstattung (auf beiden Seiten) und überzogene Erwartungen der Eltern. Alle diese Punkte tragen nicht gerade zu einer Verringerung der Arbeitsbelastung von Lehrerinnen und Lehrern bei.

Es gilt also mehr denn je, sich als Lehrkraft abzugrenzen und zu schützen. Folgende Tipps aus der Beratung zu den Themen Lehrergesundheit und Work-Life-Balance bei Lehrer|Schüler haben sich bewährt: Organisieren Sie zunächst Ihren Arbeitstag möglichst so, wie Sie das auch in „normalen“ Zeiten tun würden! Achten Sie auf ausreichende Pausen – das ist ein Punkt, bei dem Sie als Lehrkraft ausnahmsweise im Vorteil sind, wenn Sie von zu Hause aus arbeiten! Versuchen Sie außerdem Präsenzphasen, in denen Sie zum Beispiel Videokonferenzen abhalten, möglichst zu begrenzen: „Wenig, aber effizient“ sollte hier das Motto sein!

Es ist erfahrungsgemäß nicht möglich, den Stundenplan aus der Schule 1:1 in Form von Videokonferenzen zu erfüllen. Denken Sie hierbei auch an Ihre Schülerinnen und Schüler, die sich ihre Endgeräte oft mit Geschwistern teilen müssen und gar nicht die Möglichkeit haben, an allen Videokonferenzen teilzunehmen. Außerdem sind digitale Meetings von ihren Anforderungen an Aufmerksamkeit, etc. etwas ganz Anderes als Präsenzunterricht. Treten Sie also – möglichst mit der Unterstützung durch Kollegen – solchen Bestrebungen der Schulleitung konsequent entgegen! Brauchen Sie Hilfe bei der Organisation Ihres Arbeitsalltags als Lehrerin oder Lehrer? Gerne stehen wir Ihnen mit unseren einschlägig qualifizierten Expertinnen und Experten für eine kurzfristige Beratung oder langfristige Betreuung zur Verfügung – kontaktieren Sie uns jederzeit!

>>> Passende Beratungsangebote von Lehrer|Schüler


Kontaktieren Sie uns jederzeit gerne!


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7 Antworten

  1. […] als man von Ihnen fairerweise verlangen kann – viele Lehrerinnen und Lehrer neigen dazu, ein enormes Maß an unbezahlter Mehrarbeit zu leisten, das letzten Endes nicht vergütet wird. Von Seiten der Schulleitung wird dies […]

  2. […] Lehrsystem verstanden werden, das künftig einen größeren Fokus auf eine nachhaltige Achtung der Lehrergesundheit und einen Abbau der hohen Zahl an depressiven Lehrkräften legt. Ein vergleichsweise wohlhabendes […]

  3. […] in der Schulfamilie positionieren. Das lehrertypische „Helfersyndrom“ ist im Sinne der Beibehaltung der eigenen Lehrergesundheit dabei nicht gerade […]

  4. […] Während des Referendariats klagen viele Pädagoginnen und Pädagogen über die massive Arbeitsbelastung und eine insgesamt starke Überlastung – mit Planungen und Korrekturen durchgemachte Nächte sind im Vorbereitungsdienst eher die […]

  5. […] das „Preis-Leistungs-Verhältnis“ stimmt – wir haben daher einmal eine recht detaillierte Berechnung zur vermuteten und tatsächlichen Lehrerarbeitszeit angestellt, die Sie bei einer realistischen Einschätzung des von Ihnen als Lehrkraft für die […]

  6. […] bestehen? Es geht hierbei nicht um eine rücksichtslose Ellbogenmentalität, sondern um eine gezielte Prioritätensetzung, wann immer es sinnvoll erscheint. Das bedeutet: Vertretungsstunden, also letztlich unbezahlte […]

  7. […] und wenig verständnisvoll auftritt und die zusätzlich zu dem eigenen Stundendeputat anfallenden Zusatzaufgaben zu einer nicht länger tragbaren Belastung werden – die Projektwoche vorbereiten, Elterngespräche führen, den „Tag der offenen […]

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