Das Lehramtsreferendariat reformieren! – Ein Plädoyer für eine ganz neue Art der Lehrerausbildung

Geschätzte Lesedauer: 5 Minuten

Heute fassen wir von Lehrer|Schüler ein ganz heißes Eisen an: Wir machen uns Gedanken über eine mögliche Reform des Lehramtsreferendariats – eine Modernisierung, die aus unserer Sicht längst überfällig ist. Wir denken unser Modell dabei konsequent aus Sicht von Referendarinnen und Referendaren und „fertigen“ Lehrkräften. Die Sichtweise von Eltern sowie Schülerinnen und Schülern zum Thema Schulsystem und was deren Meinung nach darin schliefläuft, kann man an anderer Stelle im Netz ohne viel Rechercheaufwand nachlesen. Unser Plädoyer für eine modernere Lehrerausbildung greift dabei Erkenntnisse auf, die wir in vielen Jahren der Beratung und des Coachings von ausstiegswilligen und in Ausbildung befindlichen Lehrkräften sowie von Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern wie auch Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern in den Lehrerberuf gewonnen haben.

Unsere Darstellung soll als Beitrag zu einem Schul- und Lehrsystem verstanden werden, das künftig einen größeren Fokus auf eine nachhaltige Achtung der Lehrergesundheit und einen Abbau der hohen Zahl an depressiven Lehrkräften legt. Ein vergleichsweise wohlhabendes Land wie Deutschland kann und darf es sich nicht leisten, seine (wenn auch im internationalen Vergleich – sofern verbeamtet – gut bezahlten) Lehrkräfte zu „verheizen“ und deren psychisches Wohlergehen politischen Zielen und Ränkespielen zu opfern. Heute wollen wir einen Weg aufzeigen, wie das gelingen kann, wenn man einen gewissen Willen zeigt, Althergebrachtes zu überdenken und kontinuierliche Innovation über den Wert der Tradition stellt. Denn ein konservatives Weltbild passt aus unserer Sicht keineswegs zu einem eigentlich höchst kreativen Beruf wie dem der Lehrkraft.

>>> Forderung 1: Verkürzung und Verdichtung der Schulzeit auf ein angemessenes Maß

Ja, wir von Lehrer|Schüler beginnen tatsächlich mit einer Kritik am Schulsystem an sich, denn Lehrerausbildung beginnt schon in der Zeit, in der angehende Lehrkräfte selbst noch Schülerinnen und Schüler sind. Es ist auch zur Erfüllung des gymnasialen Leistungsgedankens und zur Umsetzung eines humanistischen Ideals schlicht nicht notwendig, Jugendliche bis ins junge Erwachsenenalter zwangszubeschulen. Niemand braucht 12 oder 13 vollgepfropfte Schuljahre, die inhaltlich künstlich aufgebläht sind mit Unterrichtsinhalten, die letztendlich keine oder nur eine marginale praktische Relevanz im Berufsleben des 21. Jahrhunderts haben. Wer sich ausführlich kognitiv fortbilden möchte, kann dies während der anschließenden Studienzeit noch immer nach Gutdünken bis zur individuellen Wissensmaximierung tun – und vielleicht mit mehr Gewinn und Nachhaltigkeit als es mit 16 oder 17 möglich ist.

Hinter dem Buzzword „Kompetenzorientierung“ verbirgt sich ein häufig mit Theorie überladenes theoretisches Konstrukt, das man je nach Standpunkt nahezu zur Beliebigkeit mit Scheininhalten überfrachten kann. Das rechtfertigt aber in keinem Fall eine Aufblähung der Gesamtbeschulungsdauer eines studierwilligen jungen Menschen. Will dieser beispielsweise später als Lehrkraft arbeiten, ist es wichtiger, dass er schnell „ins Tun“ kommt und seinen Berufswunsch, Lehrerin oder Lehrer zu werden, baldmöglichst praktisch erproben kann – anstatt ausufernde Details über die letzten Winkel wissenschaftlicher Denkrichtungen in der Schule oder belanglose Allgemeinplätze über Pädagogik während überfrachteter Vorlesungen an der Universität zu pauken.

>>> Forderung 2: Straffung und Fokussierung des Lehramtsstudiums auf das Wesentliche

Lehrer|Schüler - Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Lehramtsreferendare | lehrerschueler.de

Eines der größten Übel des Lehrerberufs beginnt nach der Ansicht von Lehrer|Schüler bereits im Studium für ein Lehramt: Es ist ein Unding, dass die Ausbildung zur Lehrkraft in Deutschland heutzutage noch immer eine gefährliche Einbahnstraße ist. Das liegt daran, dass Lehramtsstudentinnen und Lehramtsstudenten neben einigen wenigen fadenscheinigen Praktika, die in der Regel kaum Erkenntnisgewinn bringen, den eigentlichen Lehrerberuf erst dann wirklich kennenlernen, wenn ein Gutteil ihrer Ausbildung bereits gelaufen ist. Nach einem halben Jahrzehnt des Lehramtsstudiums ist es meist kaum mehr als eine theoretische Möglichkeit, sich an dieser Stelle als angehende Lehrerin oder künftiger Lehrer noch einmal beruflich umzuorientieren, wenn man merkt, dass die Realität im Klassenzimmer nichts mit der Illusion aus geschönten Lehramtsvorlesungen zu tun hat. Niemand möchte mit Mitte-Ende Zwanzig noch einmal vor dem beruflichen Nichts stehen.

Darüber hinaus sind Lehramtsstudentinnen und -studenten, die sich beruflich umentscheiden, schlichtweg für keinen anderen Berufsweg ausreichend qualifiziert, wenn sie nur den vorgesehenen Weg gegangen sind. Häufig wird behauptet, sie seien doch besonders gut im Abstrahieren, Planen, Organisieren und in der Wissensvermittlung. Doch das ist aus unserer Sicht Augenwischerei, denn erstens sind sie das ja gerade nicht – sonst würde ihnen der eingeschlagene Weg sicher leichter fallen – und zweitens erwirbt man diese „Kompetenzen“ auch in jedem anderen Studiengang – vom etwas diffusen „Skill“ der „Wissensvermittlung“ vielleicht einmal abgesehen. Im Lehramtsstudium lernt man viel „Meta“wissen, Wissen über Wissen und seine Vermittlung an sich. Aber praktisch verwertbare „Skills“ für eine Welt außerhalb des Klassenzimmers, da sieht es doch nach wie vor sehr mau aus.

Das Lehramtsstudium ist vielerorten recht selbstreferentiell und Vieles bleibt herrlich irrelevant für die konkrete Lebenswirklichkeit. Wiederholungen dröger Abhandlungen sind noch immer gang und gäbe, frucht- und sinnlose Pseudodiskussionen an der Tagesordnung und die Relevanz so mancher Vorlesung darf mehr oder weniger stark angezweifelt werden. Also: Weniger „Was ist guter Unterricht?“, mehr praktische Übung im Führen von Elterngesprächen! Weniger „Nennen Sie die Vorteile von Gruppenarbeit!“, mehr „Wir zeigen Ihnen jetzt, wie Sie dem 14-jährigen Mädchen mit drei Sechsern in Deutsch, Mathematik und Englisch wieder auf die Beine helfen“! Weniger pseudointellektuelles Geschwafel über (vermutete) behavioristische Folgen des Einsatzes eines Gongs im Unterricht der zweiten Klasse, mehr praktisches Ausprobieren (und dann wieder Seinlassen) vor Ort im Klassenraum – mit echten Menschen!

Man kann man mit Fug und Recht behaupten, dass man in den meisten Lehramtsstudiengängen doch recht großzügig straffen könnte. Die fachlichen Anteile des Studiums, die tatsächlich eine praktische Relevanz für den doch sehr konkreten Berufswunsch „Lehrerin“ oder „Lehrer“ haben, könnte man gut und gerne in vier konzentrierten Semestern unterbringen. Inhalte aus dem Bereich der Schulpädagogik, Allgemeinen Pädagogik, der Schulpsychologie oder des Erziehungswissenschaftlichen Studiums allgemein haben ihren angemessenen Platz im Referendariat, also nach absolvierter Erster Staatsprüfung. Ein Kombisemester aus den Grundzügen des „EWS“ und der jeweiligen Fachdidaktik an der Universität reicht völlig aus, um zu erahnen, worauf man sich dann im Referendariat mit Sinn und Verstand und in aller Tiefe einlassen könnte – wenn ohnehin klar ist, dass man sich definitiv für den Lehrerjob entschieden hat.

>>> Forderung 3: Angleichung des Referendariats für Lehrämter an die Realität

Der Vorbereitungsdienst für ein Lehramt ist ein ganz eigener Kosmos mit eigenen Gesetzen und wird vielerorten zu etwas hochstilisiert, das er nicht ist und streng genommen auch gar nicht sein muss. Ein „Belastungstest“ von bis zu zwei Jahren, der psychisch und fachlich weit fordernder ist als die gesamten 40 Jahre danach, darf wohl als unverhältnismäßig bezeichnet werden. Wenn Seminarleiter in den ersten Sitzungen landesweit mit Stolz von den hohen Abbrecherquoten an ihrem Seminar schwadronieren, sollte der kritisch denkende Ex-Student gezielt hinterfragen dürfen, ob das so sein muss, ohne belächelt oder mit dem Hammer der Amtsautorität in die Schranken gewiesen zu werden. Wenn Seminarlehrer zwei Drittel der Zeit Referendarinnen und Referendare für den angeblich falsch gewählten methodischen Ansatz in der Probe-Unterrichtsstunde vor versammelter Mannschaft herunterputzen, selbst aber rein frontal „unterrichten“ und die Wissensvermittlung im Austeilen vorbereiteter Protokolle besteht, die dann im Seminar selbst gemeinsam vorgelesen und „diskutiert“ (à la „Wer errät zuerst, worauf der Seminarlehrer hinaus will?“) werden, muss man sich schon fragen, ob das Lehramtsreferendariat in dieser Form nicht etwas aus der Zeit gefallen ist.

Lehrer|Schüler - Beratung für Schulleitungen | lehrerschueler.de
Lehrer|Schüler – Beratung für Schulleitungen | lehrerschueler.de

Ein modernes Referendariat im Lehramt sieht nach den Vorstellungen von Lehrer|Schüler so aus: Es ist grundsätzlich zweigeteilt in ein erstes Jahr, in dem die angehenden Lehrerinnen und Lehrer etwa 50% ihrer Zeit an der Schule aktiv unterrichten und ein zweites Jahr, das bereits das erste eigenständige Jahr im Beruf ist. Im Rest der Zeit des ersten Jahres werden sie von einer Betreuungslehrkraft mit mindestens zehn Jahren Berufserfahrung individuell gecoacht. Dieser persönliche Ansprechpartner ist keinesfalls identisch mit der Person, die später die Beurteilung schreibt oder in irgendeiner Form an der Notenvergabe im Referendariat beteiligt ist. Ebenfalls in der unterrichtsfreien Zeit werden in komprimierter Form die wesentlichen (!) Inhalte aus den Bereichen Pädagogik/Schulpädagogik, Psychologie/Schulpädagogik, Schulrecht und Staatsbürgerkunde vermittelt, in zeitgemäßen Lernsettings und an den Bedürfnissen der jeweiligen Lerngruppe orientiert.

Das zweite Referendariatsjahr sollte bereits das erste Berufsjahr sein, mit vollständiger Lehrerbezahlung und maximaler Eigenständigkeit und daher einer Jobgarantie/Planstelle. Lehrerbedarfsprognosen stellt jedes verantwortlich handelnde Ministerium regelmäßig auf und aktualisiert diese vor allem auch kontinuierlich, so dass diese festen Stellen den angehenden Lehrkräften bei entsprechender Planung bereits beim Antritt des Referendariats zugesichert werden können. Freiwillige Crashkurse, die als Fortbildungen behandelt werden, sowie ein individueller Ansprechpartner, der bei Bedarf während des ganzen zweiten Jahres jederzeit kontaktiert werden kann, runden die Berufsreife der ehemaligen Referendarinnen und Referendare ab. Der individuelle Coach könnte grundsätzlich auch fertig ausgebildeten Lehrkräften als vertraulicher Ansprechpartner und daher von der Schulleitung unabhängige Instanz dem gesamten Kollegium zu Gute kommen.

>>> Passende Beratungsangebote von Lehrer|Schüler


Kontaktieren Sie uns jederzeit gerne!


Hashtags: #lehrerschueler ||| #referendare #schulleitungen #studenten #lehramtsstudenten ||| #schule #unterricht #referendariat #lehramtsreform #referendariatsreform #lehrergesundheit #lehrerdepression #schulsystem #lehrerausbildung #kompetenzorientierung

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Up Next

We couldn’t find what you are looking for. Maybe try a search?